Veranstaltung am 23. April 2018 Gefängnis und Armut. Zur gesellschaftlichen Wirklichkeit der Strafpraxis in Deutschland

Prismen IfS bei marx & co

Gefängnis und Armut. Zur gesellschaftlichen Wirklichkeit der Strafpraxis in Deutschland

Friederike Boll, Franziska Dübgen und Frank Wilde im Gespräch mit Felix Trautmann

Das Gefängnis gilt als negatives Spiegelbild der Gesellschaft. Wer dort einsitzt, hat eine Tat begangen, die gesellschaftlich inakzeptabel ist und entsprechend sanktioniert wird. Bei genauerer Betrachtung der Gefängnispopulation zeigt sich jedoch auch, dass die gesellschaftliche Strafpraxis bestimmte Bevölkerungsschichten in besonderer Weise kriminalisiert und dem Gefängnis aussetzt. Einen entscheidenden Faktor stellt dabei die soziale Lage dar. Armut treibt die Menschen zwar nicht notwendig in die Kriminalität, doch kann durchaus behauptet werden, dass das Gefängnis bestehende soziale Ungleichheiten reproduziert und verstärkt. Um die verhängnisvollen Wechselbeziehungen von Armut und Gefängnis zu begreifen, müssen die strafrechtspolitischen, sozialen und ökonomischen Dynamiken in einem größeren Zusammenhang und über die Mauern des Gefängnisses hinaus betrachtet werden. In der Zusammenschau von Sozialstruktur und Strafpraxis, wie sie von Otto Kirchheimer und Georg Rusche bereits in den 1920er Jahren vorgeschlagen wurde, erweisen sich die Forderungen nach schärferen Strafen zur besseren Verbrechensbekämpfung als genauso verfehlt wie die aktuelle Diskussion über das »hohe Niveau« der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. Die Frage, wie Gesellscha en mit Kriminalität umgehen sollten, kann ohne den Verweis auf die armutsverschärfende Wirkung der gegenwärtigen Strafpraxis nicht mehr angemessen diskutiert werden.

Hintergrund des Gesprächs bildet der Themenschwerpunkt »Armut und Gefängnis« (hg. von Il-Tschung Lim, Daniel Loick, Nadine Marquardt und Felix Trautmann) in WestEnd. Neue Zeitschri für Sozialforschung 2/2017.

Eine Veranstaltung des Instituts für Sozialforschung in der

autoren buchhandlung marx & co Grüneburgweg 76, 60323 Frankfurt am Main

Wird die Ersatzfreiheitsstrafe zum Politikum?

Die Ersatzfreiheitsstrafe wird aktuell breit diskutiert. Zahlreiche Medien berichteten in jüngster Zeit über die Ersatzfreiheitsstrafe und den öffentlichen Nahverkehr (unter anderem die Fernsehsendung Monitor und die Frankfurter Rundschau in ihrem Dossier über den Nahverkehr in Frankfurt). Auch die Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Berlin laden zum „Rechtspolitischen Gespräch“ ein (das Thema lautet „Auf das Wesentliche konzentrieren – Schwarzfahren entkriminalisieren?“ – weitere Infos hier)

Ein Konsens scheint mittlerweile darüber zu bestehen, dass zu viele Menschen im Gefängnis kurze Haftstrafen absitzen, nachdem sie eine Geldstrafe oder Bußgelder nicht bezahlt haben. Häufigster Fall ist das so genannte »Schwarzfahren«. Die aktuell von Justizministerien, dem Deutschen Richterbund und den Verbänden des öffentlichen Nahverkehrs geführte Diskussion um die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein ist daher zu begrüßen. Doch bleibt der strafrechtskritische Gesichtspunkt darin unterbeleuchtet. Als Hauptargumente werden stattdessen die Überlastung der Gerichte und die unnötig hohen Kosten für »den Steuerzahler« angeführt. Die strafrechts- und sozialkritische Perspektive auf den Zusammenhang von »Armut und Gefängnis« und auf die strafverschärfende Wirkung von Armut im Strafvollzug bleibt meist unbeachtet. Dabei lässt sich mit Blick auf die Gefängnispopulation ein hochselektiver Prozess der Kriminalisierung sozial deprivilegierter Bevölkerungsschichten beobachten. Wie die »Ersatzfreiheitsstrafe« im deutschen Strafrecht vor Augen führt, setzen Gefängnisse nicht einfach gesellschaftliche Rechtsvorstellungen durch, sondern können Armut unmittelbar bestrafen. Sie wirken dadurch als Katalysatoren in der Erzeugung von Delinquenz-Milieus.

Am 23. April laden wir zur Diskussion dieses Themas im Rahmen der Veranstaltungsreihe ‚Prismen‘ des Instituts für Sozialforschung und der Autorenbuchhandlung marx & co in Frankfurt ein. Mehr Information folgen bald.

Ersatzfreiheitsstrafen & Gefängnis als sozialpolitischer Skandal

Veranstaltung mit Knas[] in Berlin!

Ort: Naturfreundejugend-Laden, Weichselstraße 13, 12051 Berlin-Neukölln.

Schneller als gemeinhin bekannt, werden in Deutschland Ersatzfreiheitsstrafen verhängt. Menschen, die verhängte Tagessätze nicht zahlen können, müssen stattdessen in den Knast. Typische so geahndete Delikte sind Nutzen von Bus & Bahn ohne gültigen Fahrschein, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Ladendiebstahl. Dies trifft logischerweise sehr oft arme Menschen.

Bei einer Veranstaltung der Naturfreundejugend Berlin wollen wir über die skandalöse Praxis der sogenannten Ersatzfreiheitstrafen aufklären und diskutieren. Gemeinsam soll im Anschluss an einen Vortrag über eine politische Kampagne zu deren Beseitigung und über weitergehende Möglichkeiten der Entknastung diskutiert werden.

Kommt zahlreich, wir freuen uns auf Euch!

Weitere Informationen auf der Seite der Naturfreundjugend Berlin.

Die Einsperrung – nicht der Ausbruch ist der Skandal

Erst der Gefängnisausbruch scheint der Situation in deutschen Gefängnissen wieder  öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Nachdem es zum Jahresbeginn in der Berliner JVA Plötzensee einigen Inhaftierten gelungen ist, zu fliehen bzw. im Rahmen des offenen Vollzugs zu ‚entweichen‘, wird wieder über den Zustand in den Haftanstalten und die Strafrechtspraxis diskutiert (hier ein Artikel in der Stuttgarter Zeitung). Meist jedoch nur mit Blick auf das fehlende Sicherheitspersonal, die überforderten Gerichte oder die Psychologie der Wiederholungstäter.

Statt nun die Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen und den Mangel an Resozialisierungserfolgen zu beklagen, wäre doch der deutlich sinnvollere Schritt, die Ersatzfreiheitsstrafe gleich ganz abzuschaffen und diejenigen Kleinstdelikte zu entkriminalisieren, für die der Großteil der Inhaftierten in Plötzensee einsitzen. Dass insbesondere die Ersatzfreiheitsstrafe ein Ärgernis darstellt, haben mittlerweile auch einige Gefängnisleiter, der Justizminister von NRW und der Berliner Justizsenator klargemacht. Auch der Deutsche Richterbund hat jüngst den Umgang der Verkehsbetriebe mit Personen, die ohne Fahrschein im öffentlichen Nahverkehr erwischt werden, in Frage gestellt (die ZEIT berichtet).

 

 

 

Gefängnis und Armut – unser Schwerpunkt in der Zeitschrift WestEnd

Vor kurzem ist unser Zeitschriftenschwerpunkt in WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung erschienen. Die Einleitung ist auch online zu lesen.

Das Heft versammelt verschiedene Beiträge zum Verhältnis von Armut und Gefängnis. Ausgangspunkt der Beiträge ist die Überlegung, dass im Strafvollzug die strafverschärfende Wirkung von Armut meist unbeachtet bleibt. Dabei lässt sich mit Blick auf die Gefängnispopulation ein hochselektiver Prozess der Kriminalisierung sozial deprivilegierter Bevölkerungsschichten beobachten. Wie die „Ersatzfreiheitsstrafe“ im deutschen Strafrecht vor Augen führt, setzen Gefängnisse nicht einfach gesellschaftliche Rechtsvorstellungen durch, sondern können Armut unmittelbar bestrafen. Sie wirken dadurch als Katalysatoren in der Erzeugung von Delinquenz-Milieus.

Die Beiträge des Schwerpunkts:

Franziska Dübgen und Liza Mattutat: Neoliberalisierung im Vollzug. Gibt es einen »Prison-Industrial Complex« in Deutschland?

Didier Fassin: Vor dem Gesetz. Politische Anatomie der Strafe

Frank Wilde: Das Gefängnis als Armenhaus

Il-Tschung Lim, Daniel Loick, Nadine Marquardt und Felix Trautmann: Delinquenzmilieu. Armut und Gefängnis am Beispiel der Ersatzfreiheitsstrafe

 

Kritik der Ersatzfreiheitsstrafe auf Radio mephisto

Die Ersatzfreiheitsstrafe gibt es in allen deutschen Bundesländern und ihre Auswirkungen unterscheiden sich von Land zu Land kaum. Über einen Fall in Sachsen berichtet Rebecca Kelber in einem Feature des Lokalradios der Universität Leipzig, Radio mephisto. Mit dabei ist auch Liza Mattutat, Mit-Initiatorin des offenen Briefs gegen die Ersatzfreiheitsstrafe.

 

Ein weiteres aktuelles Feature auf Radio mephisto zur Überbelegung der Gefängnisse in Sachsen sei hiermit ebenfalls empfohlen. Auch im Archiv finden sich noch weitere Berichte über die Gefägnisse in Sachsen.

Offener Brief zur Ersatzfreiheitsstrafe an die Justizminister*innen

Die Arbeitsgruppe „Strafrechtskritik als Herrschaftskritik“ an der Universität Kassel hat während einer dortigen Summer School einen offenen Brief erarbeitet und an die Justizministerien aller Bundesländer geschickt. Darin werden viele der gegenwärtigen strafrechtlichen Praktiken mit Blick auf den Zusammenhang von Armut und Strafe kritisiert. Die zentrale Forderung des offenen Briefes besteht darin, die Ersatzfreiheitsstrafe bundesweit abzuschaffen und den § 43 StGB ersatzlos zu streichen oder zumindest bei Zahlungsunfähigkeit auszusetzen.

Der komplette Brief mit sämtlichen Forderungen kann hier eingesehen werden.

Presseanfragen können an Liza Mattutat (Liza.Mattutat@leuphana.de) und Franziska Dübgen (Duebgen@uni-kassel.de) gerichtet werden.

Vortrag über Entknastung an der Freien Uni Bamberg, am 3. Dezember 2015.

Im Rahmen der autonomen Ringvorlerung der freienunibamberg wird auch KNAS[] einen Vortrag halten. Am Donnerstag, den 3. Dezember 2015. Beginn: 20h00. Im Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg), in Bamberg. Eintritt: frei.

Titel des Vortrags:

Entknastung statt Resozialisierung. Schuld, Schulden und die Kritik des Gefängnisses

Welche Schuld wird im Gefängnis abgegolten? Welches Versprechen verbindet sich mit dem Ein- und Aussperren von Menschen? Und in welchen Fällen lässt sich der Freiheitsentzug überhaupt rechtfertigen? In der Haft soll Schuld eingestanden und abgesessen werden. Die Realität der Gefängnisse sieht jedoch anders aus. Die Resozialisierung wird ihrem Anspruch nach weit verfehlt, da sie die soziale Kontrolle zumeist über die eigentliche Haftstrafe hinaus verlängert. Dies zeigt sich bereits anhand von kurzzeitigen Haftstrafen für Bagatelldelikte. Am besonderen Beispiel der Ersatzfreiheitsstrafe, die verhängt wird, wenn eine gerichtliche Geldstrafe nicht bezahlt werden kann, entfaltet der Vortrag eine gesellschaftskritische Perspektive auf das Gefängnis und fragt nach einer Politik der Entknastung, die es möglich macht, die gesamtgesellschaftliche Verkettung von Schuld und Schulden zu durchbrechen.